Von Medikamentendrohne bis Reha-Angebote – TDG feiert zweijähriges Bündnisjubiläum

„Ich bedanke mich bei allen Mitwirkenden für die vielen innovativen Projektideen“, sagte Friedrich Lüder in seinem Grußwort zu Beginn der Festveranstaltung. „Wir haben damit starke Mittel in der Hand, vor allem den ländlichen Raum innovativ voranzubringen“, so das Beiratsmitglied des Bündnisses Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung (TDG) weiter. Am 6. Dezember feierte die TDG ihr zweijähriges Bündnisjubiläum – aufgrund der Corona-Einschränkungen als Onlineveranstaltung.

Und die Zwischenbilanz nach zwei Jahren fällt durchaus erfolgreich aus. 12,6 Millionen Euro Fördermittel konnten beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingeworben und in 21 spannenden Projekten eingesetzt werden, wie TDG-Projektleiter Prof. Dr. Patrick Jahn, der auch Leiter der AG-Versorgungsforschung an der Universitätsmedizin Halle ist, in seinem Rückblick sagte. „Insbesondere die hohen 78 Prozent Start-Up-Beteiligung sind für ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben ein großer Erfolg des Bündnisses.“

Inzwischen sei die TDG zu einem breiten Bündnis von 102 Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft angewachsen. „Aber wir wollen weiterwachsen“, so Jahn, der ankündigte, dass im Februar 2022 die Entscheidung über die nächste Förderrunde für die zweite Umsetzungsphase der TDG im Rahmen des WIR!-Programms des BMBF anstehe. Dann geht es für 38 innovative Projektideen um die Finanzierung – und für das südliche Sachsen-Anhalt um den „Wandel von einer Problemregion zu einer Modellregion“.

Das TDG-Bündnis will ein „Innovationsökosystem“ für digitalisierte Gesundheitsversorgung und Pflege etablieren – von der Erforschung, Pilotierung bis zur Marktumsetzung. Der regionale Schwerpunkt liegt dabei im südlichen Sachsen-Anhalt, einem Gebiet, welches besonders vom Spannungsfeld demografischer Wandel und Gesundheitsversorgung betroffen ist. „Die Region soll zum Innovationsmotor für eine digitalisierte Gesundheitsversorgung – vor allem im Bereich der pflegerischen Versorgung – in Deutschland werden“, so das Bündnis auf seiner Webseite.

In der Kurzvorstellung der laufenden Projekte wurde die Vielfältigkeit deutlich. Dabei fokussiert sich die TDG auf drei zentrale Innovationsbereiche: digitale wohnortnahe Versorgungskonzepte, teilhabeförderliche digitalisierte Wohnformen bei Pflegebedürftigkeit sowie digitale Qualifizierungskonzepte für Fachkräfte und Angehörige.

Das Projekt „ADApp“ soll eine schnelle, zuverlässige, kontaktlose und flächendeckende Medikamentenversorgung der Bevölkerung auch für den ländlichen Raum ermöglichen. „Das E-Rezept mit Drohnen-Zustellung ist nur der Anfang eines digitalen Prozesses“, so Apotheker Martin Grünthal aus Dessau, der ADApp gemeinsam mit der Unimedizin Halle, der Hochschule Anhalt und dem IT-Dienstleister brain-SCC betreibt. „Gerade in Pandemie-Zeiten kann die Digitalisierung hier gute Dienste leisten“, so Grünthal. Mitte 2022 sollen die ersten Testflüge stattfinden.

Um die Entwicklung eines digitalen Therapieansatzes zur Atemtherapie und Stressreduktion nach überstandener COVID-19 Infektion geht es im Projekt „DigiVID19“. Katharina Dalko vom Dorothea Erxleben Lernzentrum der Universitätsmedizin Halle arbeitet hier mit dem Therapiezentrum LichterSchatten und 2tainment GmbH zusammen. Mit Hilfe einer Anwendung der virtuellen Realität (VR) soll die Therapie im Anschluss an die stationären Behandlungen im häuslichen Umfeld unterstützt werden. „Wir wollen damit niedrigschwellige Reha-Angebote erweitern, die vor allem im ländlichen Raum helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern“, so Dalko.

Ein IT-gestütztes Koordinationssystem für kurzfristige, ehrenamtliche Hilfe zur Verbesserung der Pflegeinfrastruktur und wohnortnaher Versorgungskonzepte durch digitale Unterstützung entwickeln die Macher im Projekt „Elise“. Hier arbeiten brain-SCC, das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Unimedizin Halle, der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der MLU sowie die Halle-Neustädter Wohnungsgenossenschaft zusammen. „Ziel ist es, eine niedrigschwellige Informationsplattform entwickeln, um Hilfesuchende und Helfer besser zusammenzubringen“, so Gregor Schumann von brain-SCC. „All diese Innovationen können uns helfen, als alternde Gesellschaft autonomer zu leben“, so Thomas Wünsch in seinem Grußwort. Der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Sachsen-Anhalt zeigte sich von der Arbeit der TDG begeistert und sagte weitere Unterstützung der Landesregierung zu. Auch Dr. Karsten Schwarz, der im Bündnis für die Koordination zuständig ist, bedankte sich für das Engagement aller Partner. „Die Verbindung von Digitalisierung und Pflege hat das Potenzial, die vielen demografischen und ökonomischen Herausforderungen unserer Region, in Lösungen und Perspektiven zu verwandeln.“

„Digitale Helferlein“ in der Medizin: Hallesches Programm bildet Ärztinnen und Ärzte auf dem Gebiet der Digitalisierung weiter

Eine fiktive Situation, die sich aber so oder ähnlich künftig häufiger zutragen kann: Die Smartwatch von Schauspielpatientin Juliane Heinroth hat über einen Zeitraum von zwei Monaten mehrmals Alarm geschlagen, weil die Herzfrequenz sehr hoch war. Mit den Daten aus ihrer App geht sie zum Arzt und möchte das abklären, weil sie sich Sorgen macht. Der Mann einer Bekannten hätte das auch gehabt und sei eines Tages einfach umgekippt. „Plötzlicher Herztod“, schildert sie glaubhaft in ihrer Rolle ihre Angst. „Ich habe tatsächlich eine Smartwatch und konnte mich in die Situation gut reindenken“, sagte Heinroth im Nachgang des Übungsgesprächs.

Philipp Steinau in der Rolle des Arztes muss nun einschätzen können, wie aussagekräftig die Daten der Smartwatch sind, aber – und das wird deutlich – es ersetzt nicht das Patientengespräch, denn die Daten müssen in einen Kontext eingeordnet werden. Und so entscheidet sich Steinau dafür, dass die Schauspielpatientin ein EKG erhält und sich beim Auftreten auffälliger Werte auch Notizen macht, in welcher Situation sie sich befand. Später solle das dann ausgewertet und eine gegebenenfalls notwendige Behandlung eingeleitet werden.

CÄWIN – das ist der Name des Projekts „Digitalisierung in der Medizin – Curriculum für die ärztliche Weiterbildung“, in dem das erwähnte Gespräch als Teil des ersten Praxistags am Dorothea Erxleben Lernzentrum (DELH) der Universitätsmedizin Halle stattgefunden hat. „Uns hat sehr gefreut, dass sich neben den eigentlich angesprochenen Assistenzärztinnen und -ärzten auch Fach- und Oberärztinnen und -ärzte dafür angemeldet haben. Das zeigt, dass das Thema Digitalisierung in der Medizin als Weiterbildungsinhalt wahrgenommen wird“, sagt die wissenschaftliche Projektkoordinatorin Dr. Josefin Bosch, die das Curriculum zusammen mit der ärztlichen Koordinatorin Christiane Ludwig entwickelt hat. „Der erste Durchgang ist zunächst nur für Ärztinnen und Ärzte der Universitätsmedizin Halle vorgesehen, aber es wird angestrebt, diesen Kurs künftig regulär allen Ärztinnen und Ärzten anzubieten, die sich zu digitalen Themen in der Medizin weiterbilden wollen.“

Dr. Josefin Bosch erklärt am digitalen Whiteboard den Tagesablauf des ersten Praxistages des Weiterbildungsprojekts „CÄWIN“. Dieses soll Ärztinnen und Ärzte mit Digitalisierung in der Medizin vertraut machen.

Auch andere digitale Gesundheitsanwendungen, oder kurz DiGa, gewinnen an Bedeutung und werden mittlerweile per Verordnung auch von Krankenkassen übernommen, sozusagen „Apps auf Rezept“. Das Für und Wider dieser Entwicklung diskutierte eine zweite Gruppe zusammen mit Christiane Ludwig. „Der Behandlungserfolg muss nachgewiesen werden, das heißt, einfach nur per App Tagebuch führen reicht zur Zulassung einer DiGA nicht aus“, sagt Ludwig. Neben der Anwendung der „digitalen Helferlein“ brauche es somit auch die wissenschaftliche Auswertung mit Studien.

Außerdem ging es beim Praxistag um Vertiefungen in den Bereichen Telemedizin, Telematikinfrastruktur vor allem zur elektronischen Patientenakte, aber auch um die Perspektive der Patientinnen und Patienten. In den zuvor online absolvierten sechs Modulen hatten sich die Teilnehmenden bereits mit den theoretischen Grundlagen, zum Beispiel mit der Begrifflichkeit Digitalisierung, wichtigen digitalen Tools, Künstlicher Intelligenz oder auch ethischen Aspekten auseinandergesetzt.

Der Auftakt des Weiterbildungsprojekts „CÄWIN“ fand online mit allen Teilnehmenden statt.

„Unser Kurs soll grundlegende Kompetenzen der Digitalisierung in der Medizin vermitteln“, sagt Josefin Bosch. Damit ergänzt CÄWIN die Strategie der Universitätsmedizin Halle auch für den Bereich der Weiterbildung, denn im Medizinstudium in Halle gibt es mittlerweile ein verpflichtendes Digitalisierungs-Curriculum. „CÄWIN“ war 2020 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Rahmen des Förderprogramms „Smart qualifiziert“ zunächst als eines von zehn Projekten für eine Förderung in Höhe von 10.000 Euro ausgewählt worden. Kurze Zeit später konnte es sich als eines von vier Projekten in einer finalen Runde durchsetzen und erhielt eine Förderung von 100.000 Euro.

Innovations-Kultur-Sommer: Im Dialog neue digitale Ideen in der Gesundheitsversorgung entwickeln

Dr. Elisa Haucke (r.) ermittelte im Gespräch mit den Seniorinnen und Senioren die Alltagsherausforderungen und Bedürfnisse älterer Menschen.
(Foto: Universitätsmedizin Halle)

Ohne Scheu wird die Küchenzeile aus Pappe in Beschlag genommen. Es werden der Backofen und der Geschirrspüler geöffnet, Messer und Gabel aus Pappe in die Hand genommen und der Kühlschrank inspiziert – ebenfalls aus Pappe. „Aber der ist eigentlich zu niedrig. Man kann sich im Alter einfach nicht mehr so gut bücken und kommt nur schlecht in die hinteren Bereiche“, kommen erste Hinweise vom Ehepaar Schmidt. „Alltägliche Aufgaben können gerade im Alter schnell zur Herausforderung werden“, erklärt Dr. Elisa Haucke, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Verantwortliche für das „Innovation Lab für digital unterstützte Gesundheitsversorgung“, das im Dorothea Erxleben Lernzentrum der Universitätsmedizin Halle untergebracht ist. „In unserem ‚Papp Labor‘ können wir ohne großen Aufwand nahezu jegliche häusliche Situation nachbilden und die Probleme gezielt identifizieren“, so die Wissenschaftlerin.

„Alltägliche Aufgaben können gerade im Alter schnell zur Herausforderung werden.“

Dr. Elisa Haucke

Zuvor hatte Haucke die Einführung in die Auftaktveranstaltung des „Innovations-Kultur-Sommers“ an diesem 3. August 2021 übernommen. An insgesamt acht Terminen werden in der Veranstaltungsreihe bis Ende September verschiedene Schwerpunkte zum Thema „digitale Gesundheitsversorgung“ gesetzt und ganz verschiedene Zielgruppen angesprochen, sich zu beteiligen. „Unsere Veranstaltungsreihe soll auch dazu dienen, die Herausforderungen zu identifizieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln“, erläutert Haucke. Dafür sei die Einbeziehung der Betroffenen sehr wichtig. An diesem 3. August waren es 14 Seniorinnen und Senioren, die in kreativer Atmosphäre über Probleme und Bedürfnisse in der Häuslichkeit sprechen konnten. Spannende Impulse gab es durch die Vorführung von bereits bestehenden innovativen Lösungen. Sie erfuhren etwas über Exoskelette, die unterstützen können, wenn die körperliche Kraft nachlässt oder über die Möglichkeiten der Unterstützung von Robotern im häuslichen Umfeld.

Und die hatten auch sichtlich Spaß und Interesse an der Diskussion, gaben wichtige Anregungen und erläuterten auch die Probleme – zum Beispiel, die Bedienung des Herdes bei Seheinschränkungen oder die alltäglichen Herausforderungen durch ein nachlassendes Kurzzeitgedächtnis, wie Einkauflisten anfertigen und Merkhilfen schreiben. „Die persönlichen Erfahrungswerte von Senioren und Seniorinnen sind für uns wichtige Impulse um neue digitale Lösungen für den Autonomieerhalt im Alter zu entwickeln“, so Haucke. Die persönlichen Erfahrungswerte von Senioren und Seniorinnen sind für wichtige Impulse für die Forschenden der Universitätsmedizin und der Universität Halle, um digitale Lösungen zu erarbeiten und zu erforschen. „Je mehr Technik involviert ist, desto schwieriger wird es für die Anwenderinnen und Anwender, das muss man durchaus mitberücksichtigen“, so die studentische Mitarbeiterin Ivonne Kalter, die ebenso wie Charlotte Buch und Elisa Haucke den Workshop betreute.

Alle gesammelten Bedarfe und Herausforderungen fließen am 20. September in den „Ideathon“-Workshop ein, der erste Lösungsansätze liefern soll. Den Abschluss bildet am 30. September eine Filmvorführung. Der „Innovations-Kultur-Sommer“ wurde von der Univations GmbH mitinitiiert sowie vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Dieter-Schwarz-Stiftung unterstützt.

Alle Termine der Reihe finden Sie im Veranstaltungsflyer hier. Aus Kapazitätsgründen ist eine Anmeldung notwendig. Diese ist per E-Mail an anmeldung@univations.de möglich.