Die deutsche Anatomin Prof. Dr. Sabine Hildebrandt von der Harvard Medical School und dem Boston Children’s Hospital (USA) hat am heutigen Freitag, 28. Juni, den Meckel-Preis 2019 des Fördervereins der Meckelschen Sammlungen des Instituts für Anatomie und Zellbiologie (IAZ) der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erhalten. Der Preis, der erstmals 2010 vergeben wurde, ist mit 1.000 Euro dotiert und wird einerseits für herausragende wissenschaftliche Beiträge zur historischen Meckel-Forschung“ sowie andererseits für hervorragende Leistungen zu anatomischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen und ihrer Einordnung in die heutige Zeit verliehen.
„Prof. Hildebrandt gehört in die zweite Kategorie“, sagte Prof. Dr. Bernd Fischer, ehemaliger Direktor des IAZ und nun Vorsitzender des Fördervereins der Meckelschen Sammlungen, in seiner kurzen Laudatio im Hörsaal des IAZ. Hildebrandt wurde für ihre wissenschaftliche Arbeit rund um die Geschichte der Anatomie in der Zeit des Nationalsozialismus ausgezeichnet, auf dem sie „die“ internationale Expertin sei, so Fischer.
Hildebrandt befasst sich zum Beispiel damit, ob es ethisch vertretbar ist, Forschungserkenntnisse zu verwenden, die mithilfe von Leichen von NS-Opfern gewonnen wurden. Beide Institutionen, das IAZ und als Teil dessen die Sammlungen, haben zu der Thematik insofern Anknüpfungspunkte, dass auch hier die Herkunft von Leichen sowie die Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde.
„Der Preis ist für mich eine Anerkennung der Bedeutung der Arbeit zur Geschichte der Anatomie im Nationalsozialismus und was diese Geschichte heute noch bedeutet“, sagte Hildebrandt. Das „Wirken ins Heute“, wie sie es nennt, war wesentlicher Bestandteil ihres öffentlichen Festvortrages, den sie im Rahmen der Preisverleihung gehalten hat. „Die Geschichte der Anatomie im Nationalsozialismus ist komplex. Sie umfasst nicht nur das politische Spektrum der Anatomen, das von NS-Propagandisten zu Verfolgten reichte, sondern auch die Herkunft der ‚Anatomieleichen‘, unter denen zunehmend mehr Opfer des NS-Regimes waren.“
Zu letzteren gehörten, insbesondere während der Kriegsjahre, die Körper von tausenden von infolge von Gerichtsurteilen hingerichteten politischen Gegnern und sogenannten Fremdarbeitern. Anatomen nutzten die Körper von NS-Opfern für anatomische Lehre, anatomische Sammlungen, Illustrationen für Atlanten und andere Bücher, und für ihre Forschung.
Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden Teil des allgemeinen Canons anatomischen Wissens und werden weiterhin genutzt. Das sei ethisch fragwürdig und die Wissenschaftlerin Hildebrandt plädiert dafür, auf diese Art gewonnene Erkenntnisse nicht zu nutzen. „Bilder aus der NS-Zeit können verwendet werden, aber nur unter der Bedingung, dass die Geschichte der Menschen, von denen sie stammen, erzählt wird“, sagte Hildebrandt und bezieht sich auch auf das sogenannte Vienna Protocol. Dieses sei unter Einbeziehung von Gesichtspunkten der jüdischen Medizinethik formuliert worden und enthalte praktische Empfehlungen zum Umgang mit diesen menschlichen Überresten und Resultaten aus Forschung an ihnen. Das ermögliche würdiges Gedenken an diese Opfer, so Hildebrandt.
Hildebrandt wurde in Wetzlar geboren, hat in Marburg Medizin studiert und wurde zum Dr. med. promoviert. Sie hat zunächst im Bereich der Experimentellen Rheumatologie gearbeitet, bevor sie in die Anatomie-Lehre wechselte. Als Anatomie-Didaktin arbeitete sie von 2002 bis 2013 an der Medical School der Universität von Michigan, USA, und ist nun seit 2013 in gleicher Funktion an der Harvard Medical School tätig. Mit dem Thema Anatomie im Nationalsozialismus ist sie das erste Mal im Jahr 2005 konfrontiert worden, forscht und publiziert seitdem wissenschaftlich dazu.