Eine fiktive Situation, die sich aber so oder ähnlich künftig häufiger zutragen kann: Die Smartwatch von Schauspielpatientin Juliane Heinroth hat über einen Zeitraum von zwei Monaten mehrmals Alarm geschlagen, weil die Herzfrequenz sehr hoch war. Mit den Daten aus ihrer App geht sie zum Arzt und möchte das abklären, weil sie sich Sorgen macht. Der Mann einer Bekannten hätte das auch gehabt und sei eines Tages einfach umgekippt. „Plötzlicher Herztod“, schildert sie glaubhaft in ihrer Rolle ihre Angst. „Ich habe tatsächlich eine Smartwatch und konnte mich in die Situation gut reindenken“, sagte Heinroth im Nachgang des Übungsgesprächs.
Philipp Steinau in der Rolle des Arztes muss nun einschätzen können, wie aussagekräftig die Daten der Smartwatch sind, aber – und das wird deutlich – es ersetzt nicht das Patientengespräch, denn die Daten müssen in einen Kontext eingeordnet werden. Und so entscheidet sich Steinau dafür, dass die Schauspielpatientin ein EKG erhält und sich beim Auftreten auffälliger Werte auch Notizen macht, in welcher Situation sie sich befand. Später solle das dann ausgewertet und eine gegebenenfalls notwendige Behandlung eingeleitet werden.
CÄWIN – das ist der Name des Projekts „Digitalisierung in der Medizin – Curriculum für die ärztliche Weiterbildung“, in dem das erwähnte Gespräch als Teil des ersten Praxistags am Dorothea Erxleben Lernzentrum (DELH) der Universitätsmedizin Halle stattgefunden hat. „Uns hat sehr gefreut, dass sich neben den eigentlich angesprochenen Assistenzärztinnen und -ärzten auch Fach- und Oberärztinnen und -ärzte dafür angemeldet haben. Das zeigt, dass das Thema Digitalisierung in der Medizin als Weiterbildungsinhalt wahrgenommen wird“, sagt die wissenschaftliche Projektkoordinatorin Dr. Josefin Bosch, die das Curriculum zusammen mit der ärztlichen Koordinatorin Christiane Ludwig entwickelt hat. „Der erste Durchgang ist zunächst nur für Ärztinnen und Ärzte der Universitätsmedizin Halle vorgesehen, aber es wird angestrebt, diesen Kurs künftig regulär allen Ärztinnen und Ärzten anzubieten, die sich zu digitalen Themen in der Medizin weiterbilden wollen.“
Auch andere digitale Gesundheitsanwendungen, oder kurz DiGa, gewinnen an Bedeutung und werden mittlerweile per Verordnung auch von Krankenkassen übernommen, sozusagen „Apps auf Rezept“. Das Für und Wider dieser Entwicklung diskutierte eine zweite Gruppe zusammen mit Christiane Ludwig. „Der Behandlungserfolg muss nachgewiesen werden, das heißt, einfach nur per App Tagebuch führen reicht zur Zulassung einer DiGA nicht aus“, sagt Ludwig. Neben der Anwendung der „digitalen Helferlein“ brauche es somit auch die wissenschaftliche Auswertung mit Studien.
Außerdem ging es beim Praxistag um Vertiefungen in den Bereichen Telemedizin, Telematikinfrastruktur vor allem zur elektronischen Patientenakte, aber auch um die Perspektive der Patientinnen und Patienten. In den zuvor online absolvierten sechs Modulen hatten sich die Teilnehmenden bereits mit den theoretischen Grundlagen, zum Beispiel mit der Begrifflichkeit Digitalisierung, wichtigen digitalen Tools, Künstlicher Intelligenz oder auch ethischen Aspekten auseinandergesetzt.
„Unser Kurs soll grundlegende Kompetenzen der Digitalisierung in der Medizin vermitteln“, sagt Josefin Bosch. Damit ergänzt CÄWIN die Strategie der Universitätsmedizin Halle auch für den Bereich der Weiterbildung, denn im Medizinstudium in Halle gibt es mittlerweile ein verpflichtendes Digitalisierungs-Curriculum. „CÄWIN“ war 2020 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Rahmen des Förderprogramms „Smart qualifiziert“ zunächst als eines von zehn Projekten für eine Förderung in Höhe von 10.000 Euro ausgewählt worden. Kurze Zeit später konnte es sich als eines von vier Projekten in einer finalen Runde durchsetzen und erhielt eine Förderung von 100.000 Euro.