„Wir brauchen Zucker“, sagt Professor Dr. Rüdiger Horstkorte und meint damit eher den Plural, also Zucker in allen möglichen Ausprägungen. Immerhin sei Zucker unter anderem ein wichtiger Energieträger, aber zum Beispiel auch bei der Etablierung von Nervenbahnen im Gehirn essentiell. „Wenn dort durch genetische Defekte Glykane, also Mehrfachzucker, fehlen, können schwerwiegende mentale Defekte die Folge sein. Das ist aber sehr selten“, sagt der Biologe, der am Institut für Physiologische Chemie (Direktor: Professor Dr. Guido Posern) forscht und lehrt. Ein Verteufeln von Zucker, wie es teilweise bei einigen Ernährungsweisen der Fall sei, sei nicht sinnvoll, sagt er deshalb. Ein maßvoller Umgang damit hingegen schon, vor allem mit zunehmendem Alter.
Im Alter seien die Zucker-vermittelte Modifikationen von Proteinen anders als in jungen Jahren, so Prof. Horstkorte, und Lebensmittel haben Einfluss auf diese Modifikationen. „Unsere Gesellschaft ernährt sich schon sehr zuckerlastig, insbesondere Glukose spielt da eine wichtige Rolle. Diese Menge, die viele zu sich nehmen, kann der Körper oftmals nicht schnell genug abbauen. Weil Glukose ein reaktiver Zucker ist, verursacht sie unkontrollierte Modifikationen, die sich nach und nach ansammeln. Die Auswirkung können zum Funktionsverlust von wichtigen Proteinen führen“, sagt Prof. Horstkorte. Die Ansammlungen könne man auch sehen, ergänzt er, und nennt Kollagenfasern als Beispiel. „Diese werden sehr alt im Vergleich zu anderen Strukturen im Körper. Aufgrund von Zuckermodifikationen werden sie nach und nach dunkler und die Elastizität lässt nach“, erklärt er.
Sialinsäuren seien besondere Zucker, die auch aus Glukose gebildet werden und als letztes durch Enzym-Einwirkung an Glykane geheftet werden, sagt Prof. Horstkorte, der sich seit Jahren schwerpunktmäßig damit und mit posttranslationalen Modifikationen befasst. Sialinsäuren ragen am weitesten an einem Protein auf der Zelloberfläche heraus und werden daher von vielen Rezeptoren erkannt.
Doch was noch nicht bekannt sei, sei, welche Menge davon im Alter vorhanden sei, ob diese Menge gut oder schlecht sei, ob die Konzentration in den Organen sinke oder steige und ob es eine Konsequenz des Alterns oder ein Wehren gegen den Alterungsprozess sei, sagt Horstkorte. Herausgefunden habe man aber bereits, welche Modifikationen es gebe, nun gehe es darum, die Auswirkungen eines Großteils dieser Modifikationen zu erforschen und zu analysieren. „Später ist es dann vielleicht möglich, anhand dieser Erkenntnisse, Medikamente zu entwickeln, die die Modifikationen steuern“, sagt Prof. Horstkorte. Warum das sinnvoll sein kann, versteht man etwas besser, wenn man weiß, dass sich beispielsweise Tumorzellen aufgrund ihres besonderen Zuckerstoffwechsels mithilfe von Zuckern auf ihrer Oberfläche vor dem Immunsystem verstecken können. Könnte man diesen Tarnmechanismus modifizieren, entstünden neue Therapiemöglichkeiten.
Noch fristet dieses Forschungsgebiet, in dem unter anderem Prof. Horstkorte agiert, eher ein Nischendasein. „Ich hoffe aber, dass wir aus dieser Nische heraustreten können und deswegen ist auch unser Graduiertenkolleg ,ProMoAge‘ gut, um die nationale Sichtbarkeit für diese Themen zu erhöhen“, sagt Prof. Horstkorte.